Montag, 23. November 2015

Begründung zum Antrag auf Zulassung zur Berufung eingereicht



Die aktuelle politische Lage lässt die Beschäftigung mit dem Rundfunkbeitrag wieder einmal trivial erscheinen. Aus der Distanz erscheint Europa im allgemeinen und Deutschland im besonderen zunehmend am Rande des Zusammenbruchs zu stehen. Ein französischer Arbeitskollege, den ich letzte Woche beim ersten Aufeinandertreffen nach den Pariser Anschlägen fragte, ob er seinen Schock schon verwunden habe, meinte darauf nüchtern, dass er gar nicht schockiert gewesen sei. Denn eine solche Katastrophe sei nur eine Frage der Zeit gewesen. Was – wie mir sofort einfiel – uneingeschränkt auch über Deutschland gesagt werden kann. Es steht inzwischen außer Frage, dass es auch dort jederzeit zu einem terroristischen Anschlag kommen kann. Die Frage ist lediglich, wann dies geschehen wird und wie lange es den Behörden noch gelingt, dies zu verhindern. Die ohnehin schon instabile politische Lage dürfte dann von einem Extrem ins andere kippen. Verfolgt man die Nachrichten aus dem Ausland, ist den Berichtenden die Unsicherheit deutlich anzumerken. Und vielleicht muss es erst so kommen, bevor Politik und Presse aufwachen und nicht nur gegen die Situation ausnutzende Rechte anschreiben und vorgehen, sondern auch gegen verfassungsfeindliche islamistische Salafisten, welche mit ihrer Radikalisierung den Terror erst ermöglichen. Vielleicht muss erst ein Anschlag erfolgen, bevor aus Syrien heimkehrende deutsche Staatsbürger nicht zurück ins öffentliche Leben gelassen werden, weil man dann endlich die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung weltweit unter Strafe stellt, und nicht nur die im eigenen Land. Vorerst muss man feststellen, dass auch die Anschläge von Paris nicht dazu führen, eine seit langem verzerrte religiöse Toleranz zugunsten der allgemeinen Sicherheit zu überdenken – dass aber die Behörden in der Realität angekommen sind und viel effektiver und zielgenauer arbeiten, als man es ihnen noch vor kurzem zugetraut hatte. 

Angesichts dessen fällt es mir schwer, mich mit dem im Vergleich dazu unbedeutenden Thema Rundfunkbeitrag zu beschäftigen. Aber abgesehen davon, dass die Affäre um Xavier Naidoo’s erst aufoktroyierte, dann zurückgezogene Teilnahme am Eurovision Contest einmal mehr unterstreicht, wie selbstherrlich und lächerlich die ARD auftritt und wie verwundbar sie sich dadurch macht – es gibt Neuigkeiten.

So ist inzwischen durch meinen Anwalt die Begründung für den Antrag auf Zulassung zur Berufung ergangen. Diese beruht auf “ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Urteils” nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese Zweifel werden mit der grundrechtswidrigen Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags begründet. Als Vorzugslast und damit Gebühr oder Beitrag darf die Medienabgabe nicht an das bloße Vorhandensein einer Wohnung geknüpft werden, denn diese ist “ein Grundbedürfnis des menschlichen Daseins”, Mediennutzung aber nicht. Daraus folgt ein Verstoß gegen Art. 104a ff. GG.

Ferner wird auf die fehlende Gegenleistung verwiesen. Wie ich selbst in früheren Postings geschrieben habe ist die Voraussetzung für die Erhebung eines Beitrags ein dadurch entstehender Nutzvorteil. Hier verweist der Anwalt auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvF 1/68, 2 BvR 702/68 juris, Rn. 39 und 41), in dem explizit gesagt wird, dass Medienabgaben „nicht als Entgelt für die durch den Rundfunk gebotenen Leistungen im Sinn eines Leistungsaustausches“ zu betrachten sind. Die Ausgestaltung als Vorteilslast steht damit im Widerspruch zur bestehenden Rechtsprechung.

Es wird ferner auf den Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz Art. 3 Abs. 1 GG verwiesen, von dem ich auch in meiner Klagebegründung schrieb. Da der Rundfunkbeitrag von der Allgemeinheit erhoben wird, gleichzeitig aber eine mit Nutzvorteilen verbundene Sonderabgabe sein soll, wird wesentlich Ungleiches gleich behandelt, was das entscheidende Kriterium einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist. Die mit der Gleichsetzung von Rundfunknutzern und Wohnungsinhabern erfolgende unzulässige Typisierung, auf die ich ebenfalls mehrmals hingewiesen habe, stellt ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.


Letztlich stellt die Verweigerung der Berufung einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dar, da dem Kläger kein anfechtbarer Verwaltungsakt erteilt wird und er dadurch gezwungen wird, den Rechtsweg durch Nichtzahlung der Abgabe beizubehalten. Das ist nun etwas Neues: im Grunde wäre durch das Urteil aus 1. Instanz die Forderung der Rundfunkanstalt an mich vollstreckbar. Würde sie dies allerdings tun, ohne dass mir die Berufung offensteht, kann ich die Zahlung unter Hinweis darauf verweigern und somit die Aufnahme eines neuen Rechtsstreits durch die Rundfunkanstalt erzwingen – nämlich um die Frage, ob eine Forderung aus einem erstinstanzlichen Urteil auch dann vollstreckt werden kann, wenn dem Schuldner die Berufung verweigert wird. Das ist ein hochbrisanter Punkt. Die Rundfunkanstalt hat mit Aufnahme des Verfahrens auf eine Vollstreckung bis zum richterlichen Entscheid verzichtet – zum einen sicherlich, um sich nicht mehr Arbeit als nötig aufzuhalsen, zum anderen aber bestimmt auch zur Vermeidung von Rückzahlungspflichten. Denn die würden wie im umgekehrten Fall verzinst.   

Das erklärt auch, warum es recht wahrscheinlich ist, dass das Verfahren bis zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im nächsten Jahr ruhend gestellt wird. Würden erstinstanzliche Beschlüsse, die in die Berufung gehen, vollstreckt, und würden Oberwaltungsgericht oder Bundesverfassungsgericht am Ende doch beschließen, dass der Rundfunkbeitrag grundrechtswidrig ist, müssten die Beiträge aus allen knapp 4400 laufenden Verfahren komplett und verzinst erstattet werden. Das entspräche in etwa einer im Vergleich zum Gesamtetat bescheidenen Million Euro, aber die Kompromissbereitschaft zeigt, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner juristischen Sache längst nicht so sicher ist, wie er offiziell tut.

Zum Schluss wie angekündigt ein Vergleich zwischen meinen bisher angelaufenen Kosten im Vergleich zum dem, was ich im Falle der Zahlung des Rundfunkbeitrags bezahlt hätte:

Zahlung des Rundfunkbeitrags bis Entscheid 2. Instanz (Mai 2016)              €694.50          

Bisherige Rechtskosten: Gerichtskostenvorschuss                                             €105.00

Voraussichtliche Gesamtkosten der 2. Instanz (bei Klageabweisung)            €487.00

Die Forderung der Gegenseite wurde vom Gericht abgewiesen, da sie Antrag auf Terminsaufhebung gestellt hatte. Infolgedessen habe ich keine Zusatzkosten zu tragen.  


Daraus folgt: wäre ich im Land geblieben, käme die Summe dessen, was ich an Rundfunkbeiträgen bezahlt hätte, höher als die Summe der Rechtskosten, die ich bis zum voraussichtlichen Abschluss des Rechtsstreits in 2. Instanz zu leisten habe. Auf Mai 2016 komme ich, weil die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, bis zu dem das Verfahren ruhend gestellt werden soll, für Ende März oder Mitte April nächsten Jahres anberaumt ist. Mit einer Urteilsverkündung ist daher frühestens im Mai 2016 zu rechnen. Dadurch, dass ich das Land verlassen habe, entfällt dieser “Einsparungseffekt”. Aber man sieht daran, dass die Kostenfrage sich durch die Dauer des Verfahrens aufhebt – genauso, wie ich in meinem ersten Posting im Mai 2013 dargelegt hatte.